Nach der Veröffentlichung der ForuM-Studie zur sexualisierten Gewalt in der Evangelischen Kirche hat sich Landesbischof Christian Kopp heute in einem Brief an die Gemeinden und Einrichtungen der bayerischen Landeskirche gewandt.
Darin bekräftigte Landesbischof Christian Kopp erneut, dass es keine Toleranz gegenüber sexualisierter Gewalt geben dürfe: „Sexualisierte Gewalt darf keinen Platz haben in unserer Kirche!“ Er selbst stehe fassungslos vor jedem Fall einer betroffenen Person, so der Landesbischof. Es „schreie zum Himmel“, dass es in der Evangelischen Kirche Gewalt gegen Kinder, Frauen und Männer gebe.
Er bittet darum, bei Intervention und Prävention wie bisher aufmerksam zu sein und weitere Schritte zu gehen. „Wir schaffen das nur gemeinsam“, so Kopp. Und er erklärte, dass sich alle Landeskirchen zeitnah der Durchsicht aller Personalakten stellen müssten – was in der Kürze der Zeit, die von den Forschenden der ForuM-Studie vorgegeben wurde, nicht möglich war.
Die Kirchengemeinden und Einrichtungen sind gebeten, den Inhalt den Mitgliedern der Evangelisch-Lutherischen Kirche in den Regionen in Bayern und auch allen Mitarbeitenden in Dekanatsbezirken, Kirchengemeinden, Einrichtungen und Diensten zugänglich zu machen – vielleicht auch durch Verlesen im Gottesdienst am kommenden Sonntag.
Hier der Brief im Wortlaut:
Liebe Schwestern und Brüder,
die von der Evangelischen Kirche in Deutschland und allen Landeskirchen beauftragte ForuM-Studie (Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland), die am 25. Januar 2024 veröffentlicht wurde, erschüttert uns als Mitarbeitende und Mitglieder der Evangelischen Kirche zutiefst. Ich stehe fassungslos vor jedem Fall einer betroffenen Person. Sexualisierte Gewalt ist in jeder Form mit dem christlichen Glauben vollkommen unvereinbar und widerspricht in allem den christlichen Grundhaltungen. Es schreit zum Himmel, dass es im Raum der Evangelischen Kirche sexualisierte Gewalt gegen Kinder, Frauen und Männer gibt.
Als Evangelische Kirche nehmen wir die Ergebnisse der ForuM-Studie an und analysieren sie. Wir tun das mit all unseren Möglichkeiten in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und im Miteinander der EKD. In Bayern arbeiten wir seit Jahren daran, verantwortlich mit den betroffenen Personen und den Umständen, die zu solchen Taten geführt haben, umzugehen. Alle Risikofaktoren analysieren wir konsequent und bearbeiten sie bestmöglich, um sie für die Zukunft auszuschließen. Dafür sind wir schon viele Schritte gegangen – und wir werden weitere gehen. Die Studie wird uns dafür wertvolle Hinweise geben, weil sie, ergänzend zu unseren Bemühungen, die Sicht der Betroffenen in den Mittelpunkt rückt. Sexualisierte Gewalt darf keinen Platz haben im Raum der Kirche. Ich bitte Sie alle in Ihren Verantwortungsbereichen bei Schulung, Intervention und Prävention wie bisher aufmerksam zu sein und weitere Schritte zu gehen. Wir schaffen das nur gemeinsam.
Im Medienecho auf die ForuM-Studie ist die unvollständige Berücksichtigung der Personalakten aller Landeskirchen bei der Suche nach Fällen sexualisierter Gewalt das bestimmende Thema. Das ist deshalb zu bedauern, weil im Mittelpunkt der ForuM-Studie die Erfahrungen, Hinweise und Forderungen der betroffenen Personen an die Institution Kirche stehen. In der Studie finden sich viele Hinweise auf institutionelle Schwächen und organisationale Probleme in der Gegenwart und Vergangenheit.
Diesen werden wir konsequent auf EKD-Ebene und auch bei uns in Bayern nachgehen. Über die nächsten Schritte werden wir Sie informieren.
In der vertraglichen Vereinbarung mit den Forschenden war als gemeinsame Absicht festgehalten, dass die Personalakten aller Landeskirchen analysiert werden. Im Projektverlauf hat auch unsere Landeskirche rückgemeldet, dass eine systematische Analyse aller Personalakten in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu schaffen ist.
Allein in Bayern haben wir aktuell rund 30 000 Mitarbeitende mit unterschiedlichen Anstellungsträgern (Landeskirche, Dekanate, Gemeinden, selbständige Einrichtungen). Für die Jahre 1945-2020 würde eine sechsstellige Zahl zusammenkommen. Deshalb sind wir davon ausgegangen, dass die Durchsicht der Disziplinarakten eine Grundlage für die Analyse bietet. Bei der Vorstellung der Studie und in der Medienberichterstattung sind die Gründe, die dafür verantwortlich waren, dass wir die Personalakten in der zur Verfügung stehenden Zeit noch nicht umfassend analysieren konnten, aus unserer Sicht nicht angemessen dargelegt worden. Die vollständige Durchsicht der Personalakten bleibt eine Aufgabe, der sich die Landeskirchen in der näheren Zukunft stellen müssen.
Ich grüße Sie herzlich mit den Worten, die wir Konfirmanden und Konfirmandinnen zusagen: Schutz und Schirm vor allem Bösen, Stärke und Hilfe zu allem Guten.
München, 26. Januar 2024
Hintergrund: Zur ForuM-Studie
Die ForuM-Studie (Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland) wurde von allen 20 Landeskirchen und der EKD in Auftrag gegeben und finanziert. Sie soll Risikofaktoren identifizieren, die sexualisierte Gewalt in der Kirche begünstigen, und rückt dabei insbesondere die Perspektive der Betroffenen in den Fokus.