Kein Gottesdienst an Palmsonntag. Keine Kinder, mit denen wir den Einzug Jesu in Jerusalem nachspielen. Kein Feierabendmahl am Gründonnerstag. Keine gemeinsame Erinnerung an dieses besondere, das letzte irdische Mahl Jesu, kein Singen von Liedern kommender Gerechtigkeit an festlich gedeckten Tischen.
Stattdessen: Alleine am leeren Esstisch zuhause mit dem Aufnahmegerät in der Hand, um die nächste Audioandacht einzuspielen. Zu zweit in der Christuskirche, um die Abendmahlsliturgie auf Video aufzunehmen.
Am Gründonnerstag gehe ich zum Einkaufen. Kein besonderer, in Vorfreude beschwingter Einkauf für’s Festmahl im Kreis von Familie und Freund*innen, wie sonst gegen Ende der Karwoche. Diesmal kaufe ich nur für mich alleine ein, ein Päckchen Haferflocken und etwas Obst. Jede*r hatte wahrscheinlich den einen oder anderen Moment von Traurigkeit in den letzten Wochen, manche sogar mehrmals. Bei mir ist das jetzt der Moment. Vorher hatte ich immer etwas zu tun, aber hinter meinem recht überschaubar gefüllten Einkaufswagen am Gründonnerstag, da werde ich traurig.
Ein stiller Karfreitag. Ich feiere zuhause mit Hilfe des Videos Abendmahl. Das ist schön. Und noch schöner ist es, als mir drei andere aus der Gemeinde per E-Mail jeweils ein Bild schicken von ihrem gedeckten Abendmahlstisch. Plötzlich breitet sich doch eine Art österlicher Festlichkeit aus. In der Christuskirche haben Klaus und Kerstin Steuer den Altarraum gestaltet. Wer immer den Kirchenraum betritt, findet Symbole des Karfreitags, Symbole des erlittenen Todes. Das große Kreuz zeigt Gottes Gegenwart an. Texte zum Mitnehmen und die Möglichkeit, ein eigenes Gebet dazulassen, schaffen einen dichten Raum der Andacht. Viele Zettel in den Fugen der Backsteine zeigen, dass Gemeindemitglieder da gewesen sind.
So feiern wir doch miteinander, auch wenn wir einander nicht sehen.
Noch intensiver wird diese Erfahrung am Karsamstag. Als ich zur Kirche komme, um ein paar Schokoladeneier für die Kinder im Kirchenraum zu deponieren, kniet Cornelia Muschialik, Mitglied im Kirchenvorstand und im Kindergottesdienstteam, im Altarraum. Ein kleines Blumenmeer zieht sich von der Kanzel über die Altarstufen hinunter in den Kirchenraum. Kristin Groß-Stolte, unsere Vertrauensfrau im Kirchenvorstand, hat die vielen kleinen Pflanzen besorgt. Jede*r soll sich morgen, am Ostersonntag, eine davon mit nach Hause nehmen können. Die neue Osterkerze steht bereit. Ein Konfirmand schickt per WhatsApp die Frage, wann denn das Osterfeuer brennt. Er und seine Familie wollen am frühen Morgen des Ostersonntags eine Andacht zuhause feiern und sich dafür das Osterlicht aus der Kirche holen. Klaus Steuer erzählt, dass die Familie Lang Musikstücke einspielt für die Audio-Andacht an Ostern. Wir verabreden, dass zu den Zeiten, an denen Gottesdienst wäre, immer eine*r der Pfarrer*innen in der Kirche ist. Gerade noch rechtzeitig, dank des großen Einsatzes von Ann-Katrin Rosa aus dem Kirchenvorstand schaffen wir es, die neue Website zu gestalten und damit in besonderer Weise in den Kirchenraum einzuladen. Auch für die Kinder können wir nun einige Oster-Videos präsentieren.
Wie vereinbart komme ich am Ostersonntag um kurz vor 10 Uhr zur Kirche. Auf dem Platz vor der Kirche stehen – in gebührendem Abstand – etwa 40 Personen. Die Glocken läuten ausdauernd lange. Als ich in den Glockenraum hineinspitze, sehe ich drei Kinder samt ihrer Mama an den Glockenseilen auf- und niederschweben, mit roten Backen und sichtlich begeistert. Langsam verklingt das Geläut. Im hellen Sonnenlicht dieses Morgens, hinein in den Gesang der Vögel, leuchten klare Trompetentöne auf. Ein Osterlied. Mir kommen die Tränen.
Als nach einigen Stücken, die Hans Christian Döring vom Dach der Kirche herunter spielt, Stille einkehrt, versuche ich in ein paar Worte zu fassen, was ich gerade erlebe: Eine Anspannung, die mich und viele andere die letzten drei Wochen über begleitet hat, löst sich gerade, und in diesem ungeplanten Moment erlebe ich: Jetzt ist Ostern. Auch später, als ich hinten in der Kirche sitze, und viele – meist einzeln, manche in kleinen Familiengruppen – den Raum betreten, nach vorne gehen, sich eine Blume oder eine Kerze mitnehmen, ein wenig verweilen und den beiden Frauen - Anke Ernst und Kerstin Steuer - zuhören, die mit den Stimmen ihrer Altblockflöten die Kirche erfüllen, auch da denke ich: Was für ein wunderschönes Osterfest! Viele, die kommen. Zeichen der Freude über Gottes Leben schaffende Liebe. Kurze Begegnungen und Gespräche über die 2-Meter-Distanz, voller Freude, einander zu sehen.
Und so viele, die dazu beitragen, dass wir gemeinsam ein überaus festliches, intensives Ostern erleben, in diesem merkwürdigen Jahr 2020! Das Wasser des Lebens, das Kerstin Steuer schon morgens um 6 Uhr aus der Würm geholt und zur Kirche gebracht hat; das Osterfeuer, das Herr Papke auch bereits vor 6 Uhr angezündet hat; die von Kindern bemalten Steine (nach einer Idee von Johanna Graef durch Anke Ernst initiiert); die Musik, die immer wieder erklingt (auch dank Gesa Wangenheim und Brigitte von Kracht), der Strauß mit Hoffnungseiern aus Papier vor der Kirche (vorbereitet von Billa und Madeleine Bäumert) - wir geben einander vielfältige Zeichen, dass wir uns sehnen nach der Botschaft von der Auferstehung. Durch Ehepaar Wagner wurden Ostergrüße des Pfarramtes an alte Menschen der Gemeinde verteilt. Familie Richter brachte das Osterlicht von der Osterkerze unserer Kirche zu Menschen, die nicht kommen konnten und es sich wünschten.
Ja, und wir singen das Lied, das vom Grund für alle diese Zeichen kündet: „Christ ist erstanden von der Marter alle. Des soll’n wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein. Kyrieleis. Wär' er nicht erstanden, so wär‘ die Welt vergangen. Seit dass er erstanden ist, so lobn wir den Vater Jesu Christ. Kyrieleis. Halleluja …. Des solln wir alle froh sein. Christ will unser Trost sein. Kyrieleis.“
Es war ein schönes Osterfest! So schön deswegen, weil ich eine österlich bewegte Gemeinde erlebt habe, ganz anders als sonst, fließender, spontaner, leichter als sonst im Kommen und Gehen. Freudig.